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Das Minderheiten-Gen


Gestern und heute waren Claudia und ich in Paris unterwegs. Heute sind wir nach Montmartre gelaufen, wo die Kirche Sacre Coeur steht. Wir waren vorher zu Besuch bei Jean Frédéric Patrzynski, dem Bischof der lutherischen Kirche von Paris. Seit 2013 sind die lutherische und die reformierte Kirche in Frankreich vereinigt. Das habe ich auch bei meinen Besuchen in Eisenhüttenstadt und in Izmir gehört: dass die Menschen in den kleinen evangelischen Kirchen gut zueinander halten und füreinander mitdenken und einstehen.


Ich denke manchmal darüber nach, warum mich das Minderheiten-Thema überhaupt beschäftigt. Ich gehe davon aus, dass es biografische Ursachen hat. Als ich mit siebzehn Jahren in Berlin zum Glauben an Jesus Christus gekommen bin, war das für einen Jugendlichen nicht "normal". Ich war von Anfang an in der Situation, mich erklären zu müssen, Stellung beziehen zu müssen - und auch Stellung beziehen zu wollen. In der Schule und im Studium war ich oft exponiert.


Dann bin ich zum Studium nach Tübingen gezogen und habe im Albrecht-Bengel-Haus gewohnt. Das ist ein christliches Studienhaus. Die erste Erfahrung dort war, dass man mich vergessen hatte, und ich als einzige meines Konvents ausserhalb wohnte. Die meisten Studierenden im Bengel-Haus waren völlig anders sozialisiert worden als ich. Sie hatten tiefe Wurzeln im Württembergischen Pietismus. Ich dagegen war mit keiner Tradition verbunden, konnte keine bekannten Pastoren- und Gemeindenamen nennen. Meine Heimat war eine kleine unbekannte Gemeinde in einem Berliner Hochhausviertel.


Im Vikariat und später im Pfarrberuf bin ich als West-Berlinerin in den Osten Deutschlands gezogen. Ich war in Caputh und Geltow, in Wittenberg und Eisenhüttenstadt. Dort war ich eine Zugezogene unter den ostdeutschen Christinnen und Christen. Ich war gerne da, bin freundlich aufgenommen worden. Aber das, was die andern teilten, war selbstverständlich. Was ich war und mitbrachte, war erklärungsbedürftig. ... Dass ich den Glauben und überhaupt vieles begründen, erklären, elementarisieren kann, liegt genau daran: dass ich das von Anfang an auch tun musste. Man übt sich ... :-)


Menschen, die einer gesellschaftlichen Minderheit angehören, haben oft die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Sie merken ja selbst, dass sie Dinge anders sehen als die Mehrheit das tut. Als Christin sehe ich Dinge anders als Nicht-Christen das tun. Als West-Berlinerin nehme ich Dinge anders war als jemand, der im Osten Deutschlands aufgewachsen ist. Als eine, die in einem anonymen Hochhausviertel aufgewachsen ist, anders als jemand, der durch seine Familie im Ort bekannt und fest verwurzelt ist. Als Zugezogene im Baselbiet anders als jemand, der Mundart spricht. ... Meiner Meinung nach bereichert es jede gewachsene Gemeinschaft, dass Menschen, die von aussen dazu kommen und Teil der Gemeinschaft werden, andere Sichtweisen und damit Handlungsalternativen mitbringen.


Und hier noch ein paar Fotos vom Spaziergang in den Tullierien und an der Seine. Die sind so schön, die muss ich einfach zeigen!







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